Wer ein Jungpferd besitzt, wird früher oder später vor dem spannenden Lebensabschnitt des Einreitens stehen. Fragen, die dabei aufkommen, sind zum Beispiel wer die Ausbildung übernimmt, wie lang die Grundausbildung von (Island-)Pferden dauert und was ein Pferd während dieser Zeit eigentlich lernen sollte. In diesem Beitrag möchten wir dieses Thema aufgreifen und uns mit der Frage beschäftigen: Was bedeutet eigentlich Grundausbildung und was gehört zur Grundausbildung eines Islandpferdes dazu?
Autorin: Karolina Kardel, 360 Grad Pferd
Islandpferdetrainerin Kirsti Ludwig vergleicht in ihrem Buch Grundausbildung von Gangpferden ein Jungpferd mit einer weißen Leinwand. „Beide sind unbeschrieben, offen für alles.“
Diesen Vergleich finden wir sehr treffend.
Wenn ihr euch ein neues Pferd kauft, habt ihr in der Regel eine Vorstellung eures Traumpferdes im Hinterkopf. Dies gilt nicht nur für ausgebildete Reitpferde, sondern auch für den Kauf eines Jungpferdes. Ihr wisst zum Beispiel, ob ihr einen Hengst, einen Wallach oder eine Stute haben möchtet und habt sicherlich eine konkrete Vorstellung davon, ob ihr lieber einen Viergänger oder einen Fünfgänger wollt. Entsprechend sucht ihr auch ein Jungpferd, das diesen Vorstellungen entspricht.
Welchen Schwerpunkt ihr im Training legen wollt, ob ihr mit eurem Pferd eine Goldschleife nach Hause bringen, mit Freunden im Wald um die Wette galoppieren oder ganz frei vom Boden aus Steigen und Hinlegen erarbeiten möchtet, bleibt euch überlassen. Ihr seid beide unbeschrieben und offen für alles.
Ein Punkt entscheidet jedoch darüber, ob euch euer Weg wirklich zum Ziel führen kann: die Qualität der Grundausbildung (sowie natürlich die genetischen Bedingungen, die insbesondere in Bezug auf die Gangqualität eine Rolle spielen).
„Ziel der reiterlichen Grundausbildung ist es, ein angenehm gehendes, gehorsames, williges, leistungsfähiges und geschicktes Pferd heranzubilden. Durch Gewöhnung, sorgsame Erziehung und Gymnastizierung werden die natürlichen Anlagen des Pferdes erhalten, verbessert und für den Reiter in bestimmten Situationen nutzbar gemacht. Die dressurmäßige Ausbildung dient hierfür als Grundlage. Sie ist die Voraussetzung für die weitere Ausbildung in allen reiterlichen Disziplinen“, heißt es bei der FN im ersten Band der Reihe Richtlinien für Reiten und Fahren, der sich mit dem Thema Grundausbildung für Reiter und Pferd beschäftigt. Und auch wenn dieser Absatz sehr viel Müssen und wenig Dürfen und Können beinhaltet, fasst er gut zusammen, um was es bei der Grundausbildung eigentlich geht.
Die Grundausbildung des Pferdes: Was bedeutet das?
Grundausbildung bedeutet, dass euer Pferd die grundlegenden Fähigkeiten, die es in seinem späteren Reitpferdeleben braucht, lernt. Wenn wir es auf uns Menschen übertragen wollen, wäre das Fohlen-ABC mit Halfterführigkeit, Anbinden, Putzen und Hufegeben der Kindergarten. Die Grundausbildung ist quasi die Grundschulzeit, in der euer Pferd die grundlegenden Basics lernt – quasi das Rechnen, Schreiben und Lesen für Pferde.
Mit einem Rucksack voll Basiswissen geht es dann auf die weiterführende Schule – hier könnt ihr mitgestalten und entscheiden, in welche Richtung die Spezifikation eures Pferdes gehen soll und welche Fähigkeiten es am Ende wirklich braucht. Bevor euer Pferd euch also mit übergestrichenem Zügel im taktklaren Tölt über die Ovalbahn oder in Traversalen über den Reitplatz tragen kann (dies wäre das Ziel nach erfolgreichem Studienabschluss an der Pferdeuniversität), muss es zunächst die grundlegendsten Dinge lernen.
In der Grundausbildung eures Islandpferdes werden die Grundsteine für eure gemeinsame Zukunft gelegt.
Läuft dabei etwas schief, wird euch das immer wieder einholen – oder vielmehr euer Pferd. Lernt es gleich zu Beginn Gerte und Peitsche fürchten, werdet ihr es später schwer haben, diese Hilfsmittel zu nutzen. Wird der erste Kontakt des Pferdes zum Gebiss mit harter Hand herbeigeführt, wird es sicherlich sehr lange brauchen, bis es sich vertrauensvoll an eure Hand dehnt. Oder nutzt es gleich zu Beginn aus Unsicherheit oder fehlender Muskelkraft Kompensationsbewegungen und töltet zum Beispiel mit festgehaltenem Rücken sehr passverschoben, kann sich dieses Gangbild verfestigen und ihr werdet später Mühe haben, diese ersten Reitmuster wieder rauszubekommen.
Was gehört zur Grundausbildung eines Islandpferdes?
Befragt ihr zehn Stallkolleginnen, was zur Grundausbildung eines Pferdes gehört, bekommt ihr zehn unterschiedliche Antworten zu hören. Wenn wir als #teamsportsfreund ganz allgemein an relevante Aspekte einer erfolgreichen Grundausbildung denken, fallen uns spontan folgende Punkte ein:
- Das Pferd lässt sich vom Boden aus von allen Positionen führen und jederzeit anhalten.
- Das Pferd kann stehenbleiben – auch neben einer Aufsteighilfe.
- Das Pferd kennt die wichtigsten Ausrüstungsgegenstände wie Halfter, Kappzaum und Trense sowie den Sattel.
- Das Pferd kennt die Welt außerhalb des Paddocks – durch Spaziergänge und Ausritte.
- Das Pferd ist mit vermeintlichen Schreckgespenstern wie Stangen, Planen und Hütchen in Berührung gekommen und hat gelernt, dass ihm nichts passiert.
- Das Pferd kennt Gerte und Peitsche und weiß, dass es keine Angst haben braucht (hier berichten wir ausführlich über das Thema Reiten mit Gerte).
- Das Pferd kennt das Laufen an der Longe (wobei wir mit Longieren nicht Zentrifugieren meinen, sondern das Laufen im Oval oder im Quadrat in verschiedenen Tempi mit zunehmend Biegung).
- Das Pferd kennt das Reitergewicht und hat gelernt, wie es sich mit Reiter in den (nach und nach) unterschiedlichen Gangarten sowie auf der geraden und auf der gebogenen Linie ausbalanciert und bewegt.
- Das Pferd versteht die Bedeutung der Reiterhilfen (Gewicht/Sitz/Zügel) und kann sie umsetzen.
- Das Pferd kann sich unter dem Reiter ausbalancieren.
Über all dem steht für uns, dass das Pferd gelernt hat, dem Menschen zu vertrauen und dass es Freude an der gemeinsamen Arbeit mit dem Menschen entwickelt. Denn nur wenn das Pferd vertrauensvoll und motiviert lernt, ist es in der Lage, sich geistig und körperlich weiterzuentwickeln und sich gesund unter uns Reiterinnen zu bewegen.
An dieser Stelle möchten wir euch unsere kleine Reihe zum Lernverhalten des Pferdes ans Herz legen.
Neben all diesen allgemeingültigen Punkten gibt für uns Islandpferde-Sportsfreundinnen noch ein weiteres „Fach“, das in der Grundausbildung eine Rolle spielt: die Gangverteilung.
Gehören auch Tölt und Pass zur Grundausbildung?
In der Regel wird ein junges Pferd zunächst im Schritt gearbeitet und mit den genannten Basics wie Reiterhilfen, Anhalten, Laufen auf der geraden und der gebogenen Linie und Rückwärtsrichten vertraut gemacht. Geht es dann in die nächsthöhere Gangart, wird in der Regel die genommen, die das Pferd von sich aus anbietet: Trab oder Tölt. Bei einem Pferd, das den Trab beherrscht, macht es Sinn, diesen zunächst zu nutzen – vor allem bei der vorbereitenden Arbeit an der Longe-, weil der Trab die Gangart ist, die den Rumpftrageapparat stärkt. Bei einem Naturtölter, der in jeder Situation Tölt statt Trab zeigt, macht es Sinn, den Tölt während der Grundausbildung zu nutzen. Wenn euer Pferd jedoch Gangsalat zeigt, wenn es schneller als Schritt geht, sollte der Fokus auf die Balance gelegt werden.
Für den Tölt muss euer Pferd zunächst lernen, sich unter eurem Reitergewicht auszubalancieren, und Tragkraft/Versammlungsfähigkeit entwickelt haben. Zudem muss es sich losgelassen unter euch bewegen können. Ein Pferd, das noch nicht kräftig genug ist, den Reiter zu tragen, und dem in der schnelleren Gangart die Balance abhanden kommt, die es im Schritt bereits erworben hat, wird im Tölt häufig mit Verspannungen reagieren, vorhandlastig werden und passig laufen.
In Reynirs Islandpferde-Reitschule. Das Basisbuch heißt es dazu: „Reynir findet es richtig, dass wir es nicht zu lange hinauszögern, aber wir dürfen erst dann damit anfangen, wenn das Pferd den Reiter sicher in allen Grundgangarten, also Schritt, Trab und Galopp im Gleichgewicht trägt und wenn es die grundlegenden Hilfen kennt und versteht. Zu lange mit dem Tölttraining zu warten, würde z.B. bedeuten, dass man ein Pferd mehr als ein Jahr lang nur im Trab reitet. Auch wenn das Pferd dadurch ein gutes Gleichgewichtsgefühl im Trab bekommt und den Schwerpunkt dabei richtig trägt, so erleichtert es ihm aber nicht unbedingt den Tölt, denn es muss sich an ein anderes Tragen gewöhnen, wenn es im Tölt sein Gleichgewicht halten soll.“
Und weiter: „Reiter, die mit ihren Pferden in allen Tempi gut tölten wollen, können dies nur dann erreichen, wenn ihre Pferde richtig versammelt sind. Sie müssen sich ebenso wie ein Dressurpferd tragen können, das in der Hohen Schule ausgebildet ist.“
Ihr seht: Die Antwort auf die Frage, ob Tölt und Pass zur Grundausbildung gehören, ist keine allgemeingültige Antwort. Hierbei spielen die genetische Veranlagung eures Pferdes und die Frage, ob es den Tölt erst lernen muss oder ein Naturtölter ist, eine wichtige Rolle. Muss euer Pferd das Tölten erst lernen, gehört der Tölt weniger zur Pferdegrundschule als vielmehr zur weiterführenden Schule. Vorher sollte euer Islandpferd alle relevanten Hilfen kennen und adäquat darauf reagieren sowie ausbalanciert unter dem Reiter gehen können.
Für den Pass braucht das Pferd ausreichend Kraft. Daher gehört der Pass unserer Meinung nach nicht zur Grundausbildung eines Islandpferdes dazu, sondern sollte erst später hinzugenommen werden.
Die Dauer der Grundausbildung
Die von uns genannten Punkte lassen sich in zwei Bereiche gliedern:
- Bodenarbeit (für den sicheren Umgang zwischen Pferd und Reiter und für das erste Muskelaufbautraining vor dem Reiten)
- Reiten (Vertrautmachen mit dem Reitergewicht, Hilfengebung, Balancefinden, Takt)
Beide Bereiche sind so komplex, dass eigentlich klar ist: Die Pferdeausbildung dauert wesentlich länger als sechs Wochen oder drei Monate – auch wenn Trainer den Beritt von Pferden in dieser Zeitspanne anbieten.
In der klassischen Reitkunst wurden (und werden) Pferde, die sich in der Grundausbildung befinden, Remonten genannt. Die Grundausbildung dauert hier zwei Jahre. Im ersten Lehrjahr des Pferdes geht es um das Longieren, das Gewöhnen an das Reitergewicht und das Reiten von geraden und gebogenen Linien. Der Pferdekörper kann sich so gesund den Trainingsreizen anpassen und kräftiger werden.
Der Begriff Remonte ist mittlerweile in Vergessenheit geraten – nicht zuletzt, weil viele Pferde schon sehr früh auf Turnieren und Wettkämpfen zu sehen sind und keine Zeit mehr bekommen, Remonten zu sein.
Auch wenn die meisten von uns Freizeitreiter sind und mit ihren Islandpferden nicht an klassischen Reitstätten wie der Spanischen Hofreitschule in Wien arbeiten, wo die Tradition der Remonten bis heute gelebt wird, sollten wir uns doch immer wieder daran erinnern, wie die Pferdeausbildung in den vergangenen Jahren bzw. Jahrhunderten aussah. Heute nämlich wird den wenigsten Pferden diese Zeit zugestanden. Wer vom Verkauf der Pferde lebt, kann sie nicht erst zwei Jahre ausbilden, um sie dann auf dem Markt anzubieten. Die Pferde wären – zu Recht – sehr teuer und würden nicht gekauft werden. Wer ein Jungpferd besitzt und dieses zum Anreiten weggibt, möchte auch keine zwei Jahre auf sein Pferd verzichten, damit es in Ruhe die Grundlagen lernt. Ganz zu schweigen von den Kosten.
Anders gesagt: Wenn ihr euer Pferd für sechs Wochen oder drei Monate zum Einreiten gebt, dürft ihr nicht erwarten, dass ihr ein fertig ausgebildetes Pferd bekommt. Wenn euch ein Trainer sowas versprecht, solltet ihr lieber weitersuchen. Was ihr nach drei Monaten bekommt, ist ein Pferd, das die absoluten Basics kennengelernt hat: Idealerweise das Training an der Longe, die Gewöhnung an Trense, Sattel und Reitergewicht sowie die Hilfen für Losgehen, Schneller und Anhalten.
Der Rest, der ebenso zur Grundausbildung eines Pferdes gehört wie das klare Trennen der Gangarten, der taktklare Tölt, das ausbalancierte Laufen auf gebogenen Linien oder die Umwandlung von Schubkraft in Tragkraft, wird erst im weiteren Verlauf eures Trainings kommen. Denn dafür braucht euer Pferd Zeit.
Neben dem mentalen Aspekt ist die Ausbildung vor allem auch eine körperlich höchst anstrengende Zeit: Euer Pferd muss Muskeln benutzen, die es vorher in seinem Jungpferdeleben auf der Weide nicht nutzen musste. Muskeln können nur anständig wachsen, wenn ihnen Pausen zugestanden werden. Für den ersten sichtbaren Aufbau von Muskeln wird in der Regel eine Zeit von acht bis zwölf Wochen veranschlagt. Bei den Faszien, den Bindegewebsstrukturen, die den Pferdekörper wie ein Spinnennetz durchziehen, geht man von rund zwei Jahren aus, bis sie sich den Belastungsreizen angepasst haben.
Der beste Weg, dem Pferd eine entspannte Lern- und Trainingsgrundlage für Kopf und Körper zu bieten, ist ein kleinschrittiger Übungsaufbau. Das verhindert Überforderung, gibt viel Raum für Lob und fördert so die Motivation und letztlich auch das Selbstbewusstsein des Pferdes.
Lesetipp: In unserem Beitrag Zwangspause vom Reiten: Mit Bodenarbeit Muskeln und Kopf eures Pferdes fit halten findet ihr viele Ideen und Anregungen, die euch auch bei der Ausbildung eures Pferdes helfen kann und mit denen ihr zum Beispiel die Pausentage aktiv gestalten könnt.