Wenn es draußen nass, kalt und dunkel ist, kostet es so manches Mal schon ein wenig Überwindung, das kuschelig warme Haus zu verlassen, um in den Stall zu fahren. Vor allem wenn es dann nicht mal eine Reithalle gibt und der Reitplatzboden hartgefroren und zum Reiten völlig ungeeignet ist. Wintertraining ist jedoch wichtig. Warum ihr eure Pferde auch in der kalten Jahreszeit bewegen solltet und was ihr alternativ zum Reiten machen könnt, verrät euch unser Beitrag.
Autorin: Karolina Kardel, 360 Grad Pferd
Pferde sind Bewegungstiere. Doch die heutigen Haltungsbedingungen bieten den Pferden meist weniger Bewegungsraum, als sie eigentlich bräuchten. Die ist vor allem im Winter der Fall, wenn der Weidegang wegfällt. Steht ein Pferd dann auch noch in einer Box, fehlt ihm die Bewegung umso mehr.
Was passiert bei Bewegungsmangel?
Der gesamte Organismus des Pferdes ist auf Bewegung ausgelegt: die Verdauung, der Stoffwechsel und natürlich auch der Bewegungsapparat. Bei Bewegungsmangel kann der Organismus also nicht ordentlich arbeiten. So fördert Bewegungsmangel beispielsweise das Entstehen von Koliken, und Sehnen, Bänder und Muskeln werden geschwächt.
Doch natürlich ist es für jemanden, der Vollzeit arbeitet und im Winter das Büro im Dunkeln betritt und im Dunkeln wieder verlässt, unmöglich, seinem Pferd die Bewegung zu bieten, die er ihm im Sommer bieten kann. Stattdessen aber gar nicht zum Stall zu fahren und sich nur am Wochenende in den Sattel zu schwingen und dann das nachzuholen, was unter der Woche verpasst wurde, tut dem Pferd nicht gut.
Ihr kennt das sicherlich von euch selbst: Wenn ihr regelmäßig Joggen geht, sind eure Muskeln entsprechend darauf ausgelegt und das Laufen fällt euch verhältnismäßig leicht. Macht ihr nun aber eine Pause, werdet ihr anschließend merken, dass euch das Joggen wesentlich schwerer fällt und es anstrengender ist. Auch werdet ihr sicherlich an den folgenden Tagen Muskelkater haben. Und das gilt übrigens nicht nur fürs Joggen, sondern auch fürs Reiten. Der erste Ritt nach zwei Wochen Urlaub sorgt bei den meisten von uns für einen schönen Ganzkörpermuskelkater.
Genau so geht es den Pferden. Sie sehen zwar optisch ziemlich kräftig und stabil aus, doch dieser Eindruck täuscht. Wer sich filmen lässt, wenn er sich nach einer Trainingspause auf den Rücken des Pferdes setzt, wird sehen, dass sich dieser ganz schön nach unten durchbiegt.
Der Rumpf des Pferdes ist aufgebaut wie eine Bogensehnenbrücke: Die Wirbelsäule ist der Brückenbogen, die Fahrbahn sind das Brustbein und der gerade Bauchmuskel, die Verstrebungen sind die Rippen und der quere Bauchmuskel und die Beine sind die Brückenpfeiler (vgl. Ergotherapie für Pferde, Thieme Verlag 2019).
Stabilisiert wird der Rumpf also vor allem durch die tiefen Muskeln entlang der Wirbelsäule und durch die Bauchmuskeln. Sind diese nun aufgrund einer Pause nicht ausreichend trainiert, sinkt beim Reiten die Wirbelsäule nach unten. Euer Pferd kann seine Hinterhand nicht ausreichend einsetzen, um unter den Schwerpunkt zu treten. Ein gesund erhaltendes Training ist dann nicht möglich.
Für die Gesunderhaltung des Bewegungsapparates ist es wichtig, dass die Muskeln von innen nach außen trainiert und gestärkt werden. Denn während die oberflächliche Muskulatur in erster Linie für kraftvolle Bewegungen sorgt, stabilisieren die tiefen Muskeln die Wirbelsäule und helfen dem Pferd dabei, sich ausbalanciert zu bewegen. Diese Muskeln entlang der Wirbelsäule haben vor allem die Aufgabe, die Wirbelsäule und die Gliedmaßen zu koordinieren. Deswegen werden sie insbesondere durch Koordinationsübungen angesprochen (vgl. Bewegungsapparat Pferd, Thieme Verlag 2018).
Einseitigkeit im Training ist nie gut. Damit ein Pferd seinen Reiter gut tragen kann, sollten alle Muskelgruppen angesprochen werden. Deswegen darf der Ausritt am Wochenende bei Tageslicht auch auf keinen Fall fehlen. Doch unter der Woche, wenn ihr erst im Dunkeln am Stall seid, wenig Zeit habt und die Bodenverhältnisse zu wünschen übrig lassen, lässt sich Koordinationstraining wunderbar einbauen. Es hilft euch dabei, euer Pferd auch mit wenig Aufwand fit zu halten und die relevanten Muskeln zu stärken.
Koordinationstraining: Was ist das?
Koordination wird definiert als das harmonische Zusammenspiel der Sinnesorgane, der Muskeln und des Nervensystems. Es ähnelt ein wenig einem Orchester: Wenn jeder Musiker einfach nur das spielt, was er gut kann, ist das, was am Ende dabei rauskommt, ziemlich grässlich. Wenn es aber einen Dirigenten gibt, der bestimmt, was und wie ein jeder Musiker spielt, kann ein musikalisches Kunstwerk entstehen.
Auf das Pferd bezogen sind die Muskeln die Musiker und der Dirigent ist das Nervensystem. Das heißt, das Gehirn agiert als Steuerungszentrale. Es sorgt dafür, dass Bewegungen präzise und geordnet ausgeführt werden.
Zur Koordination gehören verschiedene koordinative Fähigkeiten wie die Reaktionsfähigkeit, die Rhythmisierungsfähigkeit, die Balancefähigkeit oder auch die Orientierungsfähigkeit.
Koordinationstraining umfasst somit Übungen, die diese verschiedenen Aspekte ansprechen, die koordinativen Fähigkeiten verbessern und somit am Ende für mehr Rumpfstabilität und eine verbesserte Bewegungsqualität sorgen.
Im Folgenden stellen wir euch ein paar Koordinationsübungen vor, die ihr sowohl vom Sattel als auch vom Boden aus durchführen könnt. Ein Hinweis noch: Achtet immer darauf, eure Pferde ausreichend aufzuwärmen. An nasskalten und windigen Tagen empfehlen wir euch außerdem, dass ihr euren Pferden nach dem Training für die Cool-Down-Phase eine Abschwitzdecke auf den Rücken legt, damit sich die warmen und gelockerten Muskeln nicht gleich wieder verspannen, weil es so unangenehm kalt am Rücken zieht.
Tempovarianzen
Ob vom Boden aus oder unter dem Sattel, ob im Schritt, Trab oder Tölt: Tempounterschiede sind ein wunderbares Trainingstool! Übergänge innerhalb einer Gangart sorgen dafür, dass euer Pferd seinen Rahmen erweitert oder verkürzt.
Ein ganz langsamer Schritt unterstützt beispielsweise eine gleichmäßige Gliedmaßenbelastung, aktiviert die Muskulatur, verbessert Kraft, Ausdauer und Balance.
Klassische Bahnfiguren
Hand aufs Herz: Wie viele der klassischen Bahnfiguren kennt ihr? Und wie viele nutzt ihr regelmäßig im eigenen Training? Neben den geläufigen Bahnfiguren ganze Bahn, durch die ganze Bahn wechseln, Zirkel und Volte gibt es noch einige mehr, die ihr unbedingt aktiv in euer Training einbauen solltet. Auch im Schritt geritten oder vom Boden aus an der Hand, am Langzügel oder an der Longe lassen unterstützen sie euch dabei, euer Pferd fit zu halten. Durch die vielen Richtungsänderungen stärken sie beide Seiten eures Pferdes und sie helfen dabei die Balance zu verbessern – zumindest wenn sich die geraden Linien (ganze Bahn) mit den gebogenen Linien (Zirkel, Schlangenlinie) abwechseln. Hier seht ihr eine Übersicht der Bahnfiguren:
Stangentraining
Stangentraining ist super für die Koordination des Pferdes und super für das Training im Winter. Stangentraining ist nämlich weitaus mehr als Trabstangen und kann wunderbar selbst auf einem (ebenen) gefroren Reitplatz im Schritt vom Boden aus stattfinden.
Beim Stangentraining muss das Pferd darauf achten, wo es seine Hufe platziert. Hier bietet es sich an, mit wechselnden Abständen zu trainieren. Diese sorgen dafür, dass das Pferd seine Tritte entsprechend der Abstände entweder verlängern oder verkürzen muss. Auch können Bewegungsabläufe gestückelt werden, sodass das Pferd Huf für Huf und mit kleinen Pausen über eine Stange tritt. Wie effektiv das Stückeln der Bewegungen ist, könnt ihr selbst einmal ausprobieren: Ihr müsst euch dafür nur im Zeitlupentempo bewegen. Merkt ihr, wie eure Rumpfmuskulatur arbeiten muss? So ist es bei eurem Pferd auch. Schwieriger wird es übrigens, wenn ihr keine Bodenstange nehmt, sondern ein Cavaletti. Oder wenn ihr die Übung rückwärts ausführt.
Stangentraining muss übrigens nicht heißen, dass das Pferd über die Stangen tritt. Mit Stangen lässt sich beispielsweise auch ein Labyrinth oder ein Stangen-L legen, durch das das Pferd vorwärts und rückwärts geführt oder geritten wird. Auch hier muss es seine Hufe gezielt setzen und schnell auf eure Hilfengebung reagieren können. Dafür braucht es eine gewisse Körperspannung.
Zirzensische Lektionen
Wie wäre es zur Abwechslung mal mit ein paar zirzensischen Lektionen? Davon kann euer Pferd nämlich ebenfalls sehr profitieren. Mit dem Plié/der Verbeugung könnt ihr den Rücken des Pferdes dehnen und aufwölben. Gleichzeitig muss euer Pferd seine Bauchmuskeln einsetzen, um sich zu stabilisieren.
Beim Plié nimmt das Pferd seinen Kopf zwischen die Vorderbeine und dehnt sich gleichzeitig nach hinten. Die Übung gelingt leicht, wenn ihr euer Pferd mit einer Mohrrübe oder einem Leckerli nach unten füttert. Wichtig ist, dass euer Pferd dabei die Vorderbeine nicht einknickt.
Doch auch der Spanische Schritt bzw. der Spanische Gruß, das Beine kreuzen oder Spielereien wie das Ausrollen eines Teppichs, das Erkennen von Farben oder das Apportieren lassen sich wunderbar bei regennasser Dunkelheit im Winter erarbeiten.
Wenn ihr euch mehr über das Thema Zirkuslektionen informieren möchtet, empfehlen wir euch das Buch It’s Showtime: Zirkuslektionen: Lernspaß für Pferd und Mensch von Sylvia Czarnecki.
Kreatives Führtraining
Führtraining klingt langweilig? Nicht, wenn es kreativ gestaltet wird! Denn während sich die meisten Pferde von links gut führen lassen, wird es schwierig, wenn sie von rechts oder auch mal mit Distanz geführt werden sollen. Führtraining ist eine schöne Sache für den Winter. Ihr braucht weder einen perfekten Reitboden noch braucht ihr Licht.
Eine schöne Führübung ist übrigens das Zählen von Schritten: Ihr fangt bei 10 Schritten an, haltet an, geht 9 Schritte, haltet an, usw. Bis ihr bei einem Schritt angekommen seid. Dann zählt ihr wieder hoch. Diese Übung schult wunderbar die Reaktionsfähigkeit eures Pferdes und stärkt gleichzeitig den Rumpf. Denn um im richtigen Moment anzuhalten, muss euer Pferd eine gute Körperspannung haben, sein Gewicht mehr auf die Hinterhand legen um in Balance zu sein und prompt anhalten zu können und seine Hufe gezielt setzen – dies kommt vor allem dann zum Tragen, wenn es nur einen oder zwei Schritte machen soll.
Wie gestaltet ihr euer Wintertraining? Und welche Herausforderungen begegnen euch in der dunklen Jahreszeit? Für noch mehr Übungen, die unter erschwerten Bedingungen ausgeführt werden können, empfehlen wir euch unseren Artikel: Verletzung beim Pferd: Mit Bodenarbeit Körper und Kopf eures Pferdes fit halten. Schaut doch mal beim Blog unserer Autorin vorbei.