Bei der Frage, ob und wenn ja, wann, man sein Islandpferd eindecken sollte, entstehen immer wieder hitzige Diskussionen. Wir denken, dass es, genau wie beim Scheren, keine allgemeingültige Antwort auf diese Frage gibt und man immer individuell von Pferd zu Pferd schauen muss. Und damit ihr leichter entscheiden könnt, ob euer Pferd eine Decke braucht, haben wir wichtige Fakten zusammengetragen.
Autorin: Karolina Kardel, 360 Grad Pferd
Wenn das Thermometer unter 10 Grad sinkt, holen wir unsere dicken Winterjacken raus und ab 5 Grad sind die meisten von uns nur noch mit Overalls, Thermoreithosen und gefütterten Schuhen am Stall. Und häufig denken wir, dass es unseren Pferden trotz ihres dicken Fells ganz ähnlich gehen muss und sie ebenfalls frieren.
Komforttemperatur von Pferden: plus 25 bis minus 15 Grad
Doch das ist nicht so – zumindest meistens nicht! Die Komforttemperatur von Pferden in milden Klimazonen (also bei uns) liegt zwischen plus 25 und minus 15 Grad. Bei 5 Grad funktioniert der Stoffwechsel optimal – ausgehend von trockenem Wetter. Zum Vergleich: Bei uns (nackten) Menschen liegt sie zwischen 25 und 30 Grad! Und anders als wir oft denken, fangen Pferde erst bei etwa minus zehn Grad an, durch das Ankurbeln ihres Stoffwechsels zusätzliche Wärme zu produzieren.
An den Fellhaaren des Pferdes befinden sich sogenannte Harbalgmuskeln. Diese sind dafür zuständig, die Haare aufzurichten bzw. anzulegen – je nach Temperatur. Ist es kalt und werden die Haare aufgerichtet, entsteht eine wärmende Schicht aus Unterwolle, die von den talgigen Deckhaaren vor Nässe geschützt wird. Wenn ihr mit euren Händen im Fell eures Pferdes wühlt, könnt ihr spüren, wie warm und kuschelig es ist.
Übrigens: Nicht jedes Islandpferd ist eine Plüschkugel! Auch bei unseren Isis gibt es unterschiedliche Ausprägungen in Bezug auf das Fell, die abhängig ist von der geographischen Herkunft: Isländer, die aus dem Südwesten der Insel kommen, der vom Golfstrom geprägt ist, haben in der Regel ein kürzeres und feineres Fell als Isländer aus dem Nordosten Islands, der eher subpolar geprägt ist. Ebenfalls interessant ist, dass große Pferderassen aufgrund ihres kürzeren Fells nicht mehr frieren als unsere plüschigen Isis, denn die großen Pferde haben im Verhältnis zu ihrer Körpermasse weniger Körperoberfläche und deswegen einen geringeren Wärmeverlust. Das scheint wohl auch der Grund zu sein, warum Ponys und Fohlen längeres und dickeres Winterfell haben als Großpferde und warum die gleiche Tierart kleiner und gedrungener ist, wenn sie in kalten Klimazonen beheimatet ist. (Quelle: Badische Bauern Zeitung)
Kältereize sind wichtig für die Thermoregulation
Muskeln – auch Haarbalgmuskeln, brauchen ausreichend Training. Deswegen funktioniert die Thermoregulation nur dann adäquat, wenn die Pferde regelmäßig mit Kältereizen konfrontiert werden. Kältereize werden übrigens vom taktilen System, dem sogenannten Tastsinn, wahrgenommen. Und das funktioniert (vereinfacht dargestellt) so:
Die Thermorezeptoren nehmen Reize wie Kälte und Wärme wahr und leiten diese weiter an das Zentrale Nervensystem. Dieses verarbeitet die ankommenden Informationen und gibt anschließend einen entsprechenden Befehl an die zuständigen Muskeln – in diesem Fall die Haarbalgmuskeln – die dann entsprechend reagieren und das Haar wahlweise aufstellen oder anlegen. Dieser Prozess findet unbewusst und permanent statt (übrigens nicht nur bei den Pferden, sondern auch bei uns Menschen). Registrieren die Rezeptoren zu viel Wärme, hat das Pferd die Möglichkeit, über eine Verengung oder Erweiterung der arteriellen Gefäße – wieder eine Muskelleistung – den Körper wahlweise zu kühlen (Gefäßerweiterung) oder einen Wärmeverlust zu vermeiden (Gefäßverengung). Werden die Gefäße verengt, wird der Blutfluss in den Ohren, Hufen und Beinen reduziert, das Blut wird stattdessen vermehrt dafür genutzt, die lebenswichtigen inneren Organe zu schützen. Durch eine Gefäßerweiterung wird vermehrt Körperwärme abgegeben. Reicht das nicht aus, fängt das Pferd an zu schwitzen, um sich damit abzukühlen. Wenn euch das Thema taktile Wahrnehmung interessiert und ihr mehr darüber erfahren wollt, dann schaut doch mal auf Karolinas Seite 360° Pferd vorbei.
Wird ein Pferd nun dauerhaft eingedeckt, funktioniert die Thermoregulation nicht ausreichend, weil es zu wenig Kältereize wahrnimmt. Das ist ein Punkt, den viele Eindeckkritiker immer wieder ansprechen. Hinzu kommt, dass vor allem im Frühjahr und im Herbst, wenn es starke Temperaturschwankungen gibt, die Gefahr besteht, dass ein Pferd wahlweise unter der Decke überhitzt und sich mit Schwitzen abkühlen muss. Dadurch wird die Decke aber nass und wenn es nachts kalt wird, friert das Pferd unter der nassen Decke, kann aber sein isolierendes Fell nicht aufstellen. Hier ist dann ein regelmäßiges Umdecken erforderlich.
Studie: Eindecken oder nicht Eindecken – mögliche Auswirkungen auf das Wohlbefinden des Pferdes
Zum Thema Körperwärme und Pferdedecke gibt es übrigens auch eine interessante Studie von Kim Hodgess vom Duchy College in Devon in Großbritannien mit dem Titel To rug or not to rug: potential impacts on equine welfare (deutsch: Eindecken oder nicht Eindecken: Mögliche Auswirkungen auf das Wohlbefinden des Pferdes). Im Rahmen der Studie wurde die Oberflächentemperatur des Körpers im Zusammenhang einer adäquat funktionierenden Thermoregulation betrachtet. Wir sagen gleich: Die Studie basiert nur auf einem kleinen Datensatz und es werden einige Punkte nicht berücksichtigt. Außerdem nahmen überwiegend Boxenpferde und keine Isländer daran teil. Dennoch ist das Ergebnis interessant:
Für die Studie wurde die Oberflächentemperatur von 13 Pferden gemessen: Drei von ihnen wurden mit einer Ekzemerdecke eingedeckt, sechs von ihnen mit einer Fleece-Decke, zwei hatten leicht gefütterte Decken an und zwei weitere Pferde wurden gar nicht eingedeckt. Die Temperatur wurde 24 Stunden lang aufgezeichnet.
Die Umgebungstemperatur betrug etwa 4 bis 4,5 Grad und die Oberflächentemperatur der Pferde ohne Decke lag bei 12,5 bis 18,5 Grad. Die Ekzemerdecke ließ die Oberflächentemperatur der Pferde um rund 4,2 Grad ansteigen, die Fleecedecken um 11,2 Grad und die leicht gefütterten Decken sogar um 15,8 Grad! Somit können gut gemeinte aber leider falsch gewählte Decken für eine Temperatur sorgen, die weit über dem Wohlfühlbereich des Pferdes liegt. (Quelle: International Society for Equitation Science)
Wann ist es sinnvoll, ein Islandpferd einzudecken?
Ein gesundes Pferd, das artgerecht gehalten wird, braucht in den allermeisten Fällen keine Decke – zumindest nicht dauerhaft. Häufig wird argumentiert, dass ein Pferd weniger Fell entwickle, wenn es rechtzeitig eingedeckt wird. Dies stimmt nur bedingt, denn der Fellwechsel ist abhängig vom Tageslicht. Ob frühes Eindecken die Menge oder die Dichte an Fell wirklich beeinflusst, können wir an dieser Stelle nicht sagen, weil wir keine Studien dazu kennen. Berücksichtigt man aber die Wohlfühltemperatur des Pferdes und die Temperaturentwicklung unter einer Decke, ist es unserer Meinung nach nicht ratsam, dem Pferd bei milden Temperaturen dauerhaft eine Decke anzuziehen.
Dennoch gibt es auch gute Gründe dafür, ein Islandpferd zeitweise einzudecken.
Schur
Wird ein Pferd großflächig geschoren, hat es Probleme, sich an windigen und nassen Wintertagen ausreichend zu wärmen, weil es an den geschorenen Stellen keine wärmende Unterwolle und keine trocken haltenden Deckhaare mehr hat (über das Thema Scheren kannst du hier mehr erfahren).
Wenig Unterhautfettgewebe
Auch alte, kranke und sehr dünne Pferde mit weniger Unterhautfettgewebe oder Pferde in der Rekonvaleszenz sollten, abhängig vom Wetter, eingedeckt werden. Wir sagen bewusst abhängig vom Wetter, denn Schwitzen ist für ein Pferd ungesünder als Frieren (zum Thema Hitzeregulierung und Schwitzen haben wir hier wichtige Fakten gesammelt). Überhitzung belastet den Kreislauf und kann sogar zu Koliken führen.
Das Körperfett des Pferdes spielt bei der Frage „Pferd Eindecken ja oder nein“ deswegen eine wichtige Rolle, weil die Haut zusammen mit dem Unterhautfettgewebe eine isolierende Schicht darstellt. Wilde Pferde legen im Herbst deswegen bis zu 20 Prozent Gewicht zu und auch bei unseren Isis im Offenstall lässt sich dies häufig beobachten. Fehlt einem Pferd nun das nötige Unterhautfett, kann es sich an sehr kalten und nassen Tagen daher nicht ausreichend wärmen.
Noch ein Hinweis zu den alten Pferden: Bei den Pferdeoldies (25+) erlahmt die Fähigkeit der Thermoregulation langsam. Deswegen sollten alte Pferde bei Frost und kaltem Ostwind unbedingt ausreichend geschützt werden.
Durchnässtes Fell
Auch ein Pferd, das von Regen und Schnee gänzlich durchnässt ist und friert, sollte zumindest so lange eine Decke tragen, bis das Fell wieder trocken ist. Ist das Pferd nach dem Training nass geschwitzt, empfehlen wir unsere klassische Abschwitzdecke aus Fleece.
Dies empfehlen wir euch übrigens auch, wenn ihr in der kalten Jahreszeit mit euren Pferden an einen größeren Stall oder zu einem Kurs fahrt, um dort (zum Beispiel in der Halle) zu reiten und eure Pferde nassgeschwitzt sind. Damit die Muskulatur auf der anschließenden Fahrt mit dem Anhänger nicht verspannt und das Fell trocknen kann, empfiehlt es sich, eine Decke anzuziehen. Hier empfehlen wir gern unsere Wolldecke.
Rückenprobleme
Kälte führt zu einem höheren Muskeltonus im Rücken und insbesondere nass-windiges Wetter kann dazu führen, dass die Muskeln verspannen und sich mögliche Krankheitsbefunde wie zum Beispiel Kissing Spines verschlechtern. Auch spannen die Faszien an und können verkleben, was am Ende dazu führen kann, dass das Gewebe an Elastizität verliert. Deswegen sollte bei betroffenen Pferden darüber nachgedacht werden, ihnen je nach Wetter eine Paddockdecke anzuziehen.
Resumee
Zusammenfassend ist unser Tipp, dass ihr individuell anhand eures Pferdes und den vorhandenen Bedingungen entscheidet, ob ihr eine Decke braucht oder nicht. Wir sind der Meinung, dass es gut und sinnvoll ist, verschiedene Decken zu haben, um sie bei Bedarf nutzen zu können. Wir sind aber aus oben genannten Gründen nicht der Meinung, dass man ein gesundes Islandpferd dauerhaft eindecken sollte.
Was ist eure Erfahrung beim Thema Eindecken? Deckt ihr eure Islandpferde ein und wenn ja, wann und nach welchen Kriterien? Übrigens: Wenn ihr noch mehr zum Thema Eindecken lesen möchtet, dann empfehlen wir euch unsere Beiträge: Warum brauche ich eine Abschwitzdecke? und Braucht mein Isländer auch im Sommer eine Pferdedecke?