Silvia Ochsenreiter-Egli teilt ihre Erfahrungen mit Heljar, ihrem 21-jährigen Islandpferd. Der Hengst blickt auf viele Jahre Spitzensporterfahrung zurück, erfreut sich jedoch immer noch bester Gesundheit. Wie haben sie das geschafft? Gesunde Alte Pferde brauchen Abwechslungsreiches Training, Geduld und Pferdefreundlichkeit. Silvia spricht darüber, wie man das Altern von Pferden angemessen einschätzt und ihren Ruhestand gestaltet.
Autorinnen: Veroinka Conen: CEO Sportsfreund Studios und Silvia Ochsenreiter-Egli
Liebe Silvia,
Wie alt ist Heljar, wann ist er zu Dir gekommen und seit wie vielen Turniersaisonen startet ihr miteinander?
Heljar ist 2003 geboren, also wird er dieses Jahr 21. Heljar lernte ich 2009 als Sechsjährigen auf Island kennen. Er war noch nicht im Turniersport vorgestellt, lies aber ein gutes Potential erahnen. Da er sich in Island einer schnellen Karriere als Reitpferd widersetzt hatte und viel Charakterstärke zeigte, konnte ich ihn zu einem sehr fairen Preis erwerben.
Ich lies uns Zeit, häufig blieb er abrupt stehen, wenn er unsicher wurde oder sich erschrak, was in den ersten zwei Jahren häufig vorkam. Ich gestaltete das Training sehr abwechslungsreich und konnte nach und nach sein Vertrauen gewinnen.
Seine Erfolge suchen ihresgleichen. Er wurde bisher sechsfacher Schweizer Meister im Fünfgang F1, davon vier Mal in Folge, einschließlich 2023. Fünf Mal war er Vizeschweizermeister im Fünfgang. Heljar ist zweifacher mitteleuropäischer Meister im Fünfgang F1 und in der Gesamtwertung, war fünfmal für die Equipe Suisse an Weltmeisterschaften und platzierte sich dort mehrmals in den Top Ten.
Unser bestes Resultat war 2023 der 5. Platz in der Fünfgang Gesamtwertung an den Weltmeisterschaften in Oirschot. In 13 Jahren ritten wir insgesamt 54 mal die Sport A Fünfgangprüfung und das Ergebnis aus allen Vorentscheidungen beträgt im Durchschnitt 6,89 Punkte. Diese Konstanz macht mich besonders stolz und zeigt, wie gut wir harmonieren. 2024 ist unsere 14. Turniersaison.
Habt ihr auch einmal ein Jahr ausgesetzt, vielleicht weil er krank oder verletzt war?
Nein, wir konnten tatsächlich in allen Jahre ohne nennenswerte Verletzungen am Ball bleiben und es gab nie einen Ausfall. In 14 Jahren war er zweimal kurz krank mit Fieber, einmal nach einer Deutschen Meisterschaft und einmal hatte er eine Kolik, die aber zum Glück nicht operiert werden musste
Wir konnten Heljar erst letztes Jahr in seinem ganzen Glanz auf der WM bewundern. Nur selten starten Pferde noch in seinem Alter. Worauf führst Du seine blendende Verfassung zurück?
Heljar hat beste Gene, sehr gute Zähne und frisst immer und überall gerne, egal wieviele tausend Kilometer wir zusammen gefahren sind. Er fühlt sich wirklich fast überall wohl und ist sehr genügsam.
Natürlich habe ich immer sehr gut auf ihn aufgepasst und versucht, ihn nie zu etwas zu drängen, zu dem er noch nicht in der physischen oder psychischen Verfassung war. Dafür wurde ich anfangs häufig belächelt. „Setz ihn doch mal richtig auf den A…, der ist nur stur, du darfst ihm nicht so viel durchgehen lassen etc.“ hab ich schon von manchem Trainer gehört und zum Glück ignoriert. Jetzt lesen: Sportsfreundliches Pferdetraining
Wie hast Du mit ihm über die vielen Jahre gearbeitet, dass er immer noch gesunde Muskeln, Knochen, Sehnen und Gelenke hat?
Vielleicht hatte ich einfach Glück… Allerdings ist es in meinen Augen wichtig, das Pferd physisch und psychisch nicht zu überfordern, ihm seine Würde und seine natürliche Neugier zu lassen. Gute Pflege und Fütterung gehören genauso dazu wie ein abwechslungsreiches Training und wohlverdiente Pausen nach Spitzenleistungen.
Wenn man das Vertrauen eines Pferdes gewonnen hat und dieses nicht missbraucht, wird es alles für seine Reiter*in tun – solange es dazu körperlich in der Lage ist und entsprechend umsichtig trainiert wird. Es ist ein Privileg, so viele Jahre mit einem Pferd zusammenwachsen zu dürfen und sich stetig weiterzuentwickeln.
Was ist Dein Geheimnis für Heljars ungebremste Motivation, auch nach ungezählten Turnierstarts?
Wir gönnen uns immer wieder Pausen vom „Turnierdrill“, verbringen viel Freizeit miteinander und üben nur ganz selten auf der Ovalbahn. Er ist so routiniert nach all den Jahren. Wichtig ist immer, dass er Freude an der Arbeit hat, die auf keinen Fall zu monoton sein darf.
Oft streifen wir am langen Zügel durch den Wald und geniessen gemeinsam die Natur. (auch an anderen Orten, z: B. gehen wir seit Jahren zu Freunden ins Engadin und ich reite ihn auf den wunderbaren endlosen Wegen entlang der Innauen). In seinem Fall ist das extrem wichtig. Auch die mindestens 2 Monate lange Pause nach der Turniersaison.
Heljar ist jetzt 21 Jahre alt und hat kaum ein graues Haar. Bemerkst Du dennoch Veränderungen an ihm, die Du auf sein Alter zurückführst?
Heljar hat tatsächlich nur 10-20 graue Haare, „LOL“. Körperlich sieht er sicherlich deutlich jünger aus, aber ich bemerke, dass er mehr schläft als früher und nicht mehr ganz so feurig ist wie vor 10 Jahren, wenn wir das Training nach der Winterpause wieder aufnehmen.
Generell sah er im Winter immer schon aus wie ein gemütlicher Teddybär, aber sobald der Fellwechsel vorüber ist, verpuppt er sich wie eine Raupe zum Schmetterling und überzeugt mit seiner unverkennbaren Kraft und Power.
Ich trainiere weniger technisch als früher und reite ganz viel locker durch den Wald, damit er konditionell nicht abbaut und Freude behält. Viereck und Ovalbahn liebt er nur in homöophathischen Dosen, das war allerdings schon immer so. Im Alter dauert es deutlich länger, bis ich ihn nach der Winterpause wieder auf 100 % Leistung habe. Da heisst es geduldig sein und ihn nicht zu früh zu sehr auf den Punkt haben wollen.
Dieses Rezept ging in all den Jahren wunderbar auf, wir passen einfach prima zueinander. Dafür bin ich wirklich sehr dankbar. Es ist so ein Geschenk und eine tiefe Freude mit einem Pferd als Sportsfreund so einen langen und schönen Weg gehen zu dürfen!
Ach ja, du fragst nach seiner Beweglichkeit: Diese wurde tatsächlich von Jahr zu Jahr besser, ebenfalls sein Gleichgewicht und die Tragfähigkeit der Hinterhand.
Hat sich sein Wesen über die Jahre verändert?
Nein, er ist immer noch genauso verspielt und lustig, manchmal auch stur und schreckhaft wie früher. Allerdings kann ich das durch die vielen Jahre gemeinsamen Trainings besser kaschieren. Altersmilde, nein, definitiv nicht.
Oder findest Du, dass Heljars gute Verfassung eigentlich nicht der Rede wert ist und für Pferde in seinem Alter normal sein sollte?
Nein, das ist sicherlich eine Ausnahme, vor allem im Spitzensport. Ich kenne allerdings viele Pferde aus dem Freundes- und Kundenkreis, die bis ins hohe Alter gesund und leistungsfähig bleiben. Zum Beispiel auch fast alle Nachkommen von unserem Blivar von Birkenlund.
Man liest ja häufig, dass das eine oder andere Turnierpferd aus dem Sport verabschiedet wurde und jetzt seinen „wohlverdienten Ruhestand“ genießen darf. Die meisten sind da noch jünger als Heljar heute. Wie seht ihr beide das? Wie schaut ihr in die Zukunft?
Ich denke, Heljars „grosse, internationale“ Karriere werde ich mit dieser Turniersaison abschliessen. Er hat in den vielen Jahren alles erreicht, was ich mir nicht mal in den kühnsten Vorstellungen zu erträumen gewagt habe. Junge Pferde und talentierte Reiter kommen nach, wir wollen Platz machen und nicht den „Absprung“ verpassen.
Jetzt ist er 21 Jahre alt und wenn das Training gut läuft, wird 2024 vermutlich unsere letzte Saison im Turniersport sein. Aber 90 % unseres bisherigen Alltags bestehen aus“ Nicht Turnierreiten“, also wird sich gar nicht so viel ändern, ausser dass er dann nicht mehr so viel im Hänger von Turnier zu Turnier fahren und seine Prüfungen auf der Ovalbahn üben muss. Aber wer weiss, vielleicht reite ich auch in einigen Jahren zu Hause noch zum Spass einen Fünfgangpreis. Er ist danach immer ganz stolz und glücklich, wie ich finde.
Wie soll ich mir so einen „wohlverdienten Ruhestand“ vorstellen? Ich glaube nicht, dass ein lebenslang gut trainiertes Pferd dankbar ist, wenn es „endlich“ nichts mehr tun muß.
Körperlich und geistig beschäftigen werde ich ihn, solange er fit und motiviert ist. Ich verdanke ihm so viel, das möchte ich ihm in Alter zurückgeben und alles dafür tun, dass er noch viele Jahre gesund und glücklich leben kann.
Wenn wir Heljar fragen könnten, wie würde er seinen Wunsch-Ruhestand beschreiben?
Einen Alterssitz im Engadin und gaaanz viel Weidegang mit ein paar jungen Stuten an seiner Seite.
Und worauf würdest Du bestehen?
Ein Leben in der Herde mit ein paar netten Wallachen. Das konnte ich ihm bis jetzt noch nicht bieten. Jeden Tag ein Mash, das liebt er sehr.
Ab wann würdest Du ein Pferd als „alt“ bezeichnen?
Alt ist ein dehnbarer Begriff. Meinst du körperlich alt oder auch mental? Es gibt ja ganz deutliche optische Anzeichen des Alters. Eingefallene Augenhöhlen, erschlaffende Muskulatur, steifere Bewegungen, graues Haar…
So habe ich schon manches 15 jährige Pferd gesehen, welches richtig alt und müde aussah. Pferde, welche nie ihrer Natur entsprechend gehalten werden, z. B. nur in der Box und ohne Pferdegesellschaft und dazu noch monoton und verschleissreich geritten werden, altern in meinen Augen ebenfalls sehr früh. Der Körper verschleisst, wenn man ihn nicht pflegt, genauso der Geist. Das kennen wir ja von uns Menschen auch.
Als alt bezeichnen würde ich ebenfalls ein Pferd, welches sich im Herdenverband aufgrund seines zunehmenden Alters immer mehr absondert und auch in der Rangordnung absteigt.
Was würdest Du Reiterinnen empfehlen, damit sie ihr in die Jahre kommendes Pferd angemessen einschätzen? Es soll ja weder zu lange strapaziert noch zu früh vertüddelt werden.
Man muss die Augen offenhalten und in das Pferd hineinfühlen. Wenn es offensichtlich immer lustloser und widerwilliger wird beim reiten, sollte man schauen ob es vielleicht mehr Spass an kurzen Bodenarbeitseinheiten hätte oder einem Spazierritt als Handpferd.
Ab dem Moment an dem das Pferd „nur noch herumsteht“ und sich auch nicht nach Lust und Laune bewegen kann (Weidegang) wird es extrem schnell abbauen. Eine Weide für alte Pferd kann eine gute Sache sein, um den Pferden einen schönen Lebensabend zu ermöglichen.
Woran erkenne ich Einbußen der Leistungsfähigkeit und wie reagiere ich darauf?
Wenn diese Einbußen ganz plötzlich auftreten, würde ich zunächst den Tierarzt hinzuziehen, um herauszufinden, ob irgendwelche Infektionen oder Mangelerscheinungen vorhanden sind. Der Magen ist hier ein aktuelles Thema, aber man kann auch jedes Pferd „krank“ untersuchen.
Wie immer ist der gesunde Menschenverstand wichtig, vielleicht hat der Reiter auch gerade eine schlechte mentale oder körperliche Phase und das überträgt sich dann auf das Pferd. Ich spüre bei meinen Pferden ganz deutlich, wenn ihnen die Arbeit zu schwer und monoton wird, und überdenke das Training dann jeweils neu.
Ergänzungsfuttermittel können den Organismus des älteren Pferdes genau unterstützen wie ein gesunder Herdenverband mit genügend Rückzugsmöglichkeiten.
Anzeichen einer verminderten Leistungsfähigkeit können auch stumpfes Fell, Durchfall, Kotwasser, schlechte PAT Werte und ein Abbau der Muskulatur sein. Die Liste liesse sich beinahe endlos weiterführen.
Wie bemerke ich, dass mein Pferd nicht mehr reitbar ist und was machen wir stattdessen?
Es wird nicht den Tag X geben, an dem das Pferd nicht mehr geritten werden kann, es sei denn durch einen Unfall. Meist ist dies ein schleichender Prozess. Wenn Erkrankungen wie Spat oder Arthrose auftreten, wird die Entscheidung leichter fallen als wenn das Pferd einfach etwas langsamer und gemütlicher unterwegs ist.
Allerdings kann man auch bis ins extrem hohe Alter Freiarbeit, Zirkuslektionen, Spaziergänge und Balanceübungen mit dem Pferd machen, um es fit und trainiert zu halten. Eine ehemalige Schülerin von mir nimmt ihre 37 jährige Stute noch regelmässig als Handpferd mit und arbeitet am Langzügel mit ihr.
Leider erlebe ich immer wieder, dass in unserer „Wegwerfgesellschaft“ alte Pferde unter anderem aus Kostengründen „abgeschoben“ werden. Die Frage stellt sich auch andersherum. Ist es sinnvoll, so ein stolzes und bewegungsfreudiges Tier wie das Pferd mit allen Mitteln am Leben zu erhalten, nur weil wir Menschen nicht loslassen können? Ich meine damit nicht Pferde, die noch selbst gut fressen können, sondern solche, die mit schweren Erkrankungen des Bewegungsapparats oder Stoffwechsels unnötig lange am Leben erhalten werden.
Wieviel und was arbeite ich mit einem alten Pferd?
Alte Pferde sind stolz, stur und eigensinnig. Das trifft auf fast alle alten und sehr alten Islandpferde zu, die ich in meinem Leben kennenlernen durfte. Letztes Jahr liessen wir die 39 jährige Stammstute von Hafnersholt, Eik frá Hóftúni, einschläfern. Sie war trotz ihrer körperlichen Gebrechen bis zum letzten Tag ein Pferd mit ungaublicher Ausstrahlung und einem extremen eigenen Willen.
Bei Eik war die körperliche Pflege am Schluss das Highlight ihres Tages. Ihre Extraportion Mash und Heucobs, ein gründliches Putzen des struppigen Fells und ihr das Gefühl zu geben, dass sie immer noch wertgeschätzt und geliebt wird. Man kann die Pferde aber auch überbeschäftigen. Ich finde die meisten Pferde signalisieren ganz deutlich, ob sie noch Lust auf eine Interaktion mit dem Mensch haben oder nicht.
Was biete ich ihm, dass es glücklich lebt bis ans Ende seiner Tage?
Eine intakte Herde, bestes Futter, adäquate Bewegung, kurze abwechslungsreiche Trainingseinheiten, gute allgemeine Pflege (eine Senioren SPORTSFREUND Decke ;-)?), genug Ruhezeiten und vor allem viel Liebe und Respekt.
Du hast ja noch ein richtigen Methusalem bei Dir am Hof, den Blivar. Wie gestaltet sich sein Lebensabend?
Blivar von Birkenlund ist mittlerweile 33 und gebärdet sich immer noch wie ein junger Gigolo, wenn er Stuten sieht.
Er kam als Fohlen in unseren Besitz, war 1997 Zuchtchampionatssieger und Vizeweltmeister bei den sechsjährigen Hengsten in Norwegen/Seljord unter unserem Freund Birgir Gunnarson. Unzählige Titel im Sport folgten. So war er unter mir u.a. Deutscher Meister in der Fünfgang Gesamtwertung 2007 in Blankenheim, zweifacher Mitteleuropäischer Vizemeister im Fünfgang und 9facher Finalteilnehmer im Fünfgang auf deutschen Meisterschaften. Blivar wird schon seit 7 Jahren nicht mehr geritten.
Er hatte Probleme mit Arthrose und sein unglaublicher Gehwille machte es nicht einfach, ihn schonend zu reiten. Sein Spitzname ist „Mr 100.000 Volt“. Er kann leider nicht mit anderen Wallachen zusammen gehalten werden, da er zu dominant ist. Von seiner grossen Box überblickt er den Hof und darf natürlich regelmässig raus, um sich eigenständig zu bewegen, sofern er Lust dazu hat.
Manchmal steht er auch stundenlang am selben Fleck und geniesst die Sonne, den Wind oder auch ein bisschen Regen. Spass hat er an allem, was sich auf dem Hof tut und er begrüsst alle Pferde mit einem herzlichen Wiehern. Gutes Futter und eine regelmässige Körperpflege, vor allem im Fellwechsel, ist natürlich auch ein Teil seines Alltags. Ich glaube, er selbst denkt über sich, er sei immer noch der vor Kraft strotzende junge, feurige Hengst.
Muß ich mich vor dem Tag fürchten, an dem mein Pony alt wird? Hat unsere Gemeinsamkeit dann weniger Qualität? Wie kann ich das Zusammensein mit meinem Pferd bis zu seinem letzten Tag genießen?
Wenn das Tier als Persönlichkeit und nicht als Mittel zum Zweck oder „Sportgerät“ sondern als Sportsfreund im Vordergrund steht, muss man gar keine Angst vor dem Älterwerden des Pferdes haben.
Bei ruhigen Spaziergängen mit dem alten Pferd kann sich der Mensch z.B. an das gemeinsam Erlebte erinnern, sich an der Schönheit und Weisheit seines alten Pferdes erfreuen und dankbar sein für die unzähligen gemeinsamen Stunden, die man gemeinsam verbringen durfte